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Reinhard Mey



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Reinhard Mey

Golf-November

Mey Reinhard
Der Wettermann sagt:schlechte Sicht
Im Westen Bremen ist schon dicht,
Minus vier Grad mit starken Niederschlägen;
Um drei Uhr ist die Kaltfront hier.
Der Flieger streicht sein Brotpapier
Und faltet es bedächtig: 'Meinetwegen'.
Der Doktor rumort nebenan,
Sucht Filtertüten, macht sich dran,
Tassen zu spülen und Kaffee zu kochen.
Aber der Notruf kommt vorher:
Am Ostufer, Steinhuder Meer,
Ein Kind ist im dünnen Eis eingebrochen.

Der Doktor trommelt: 'Tempo Mann!',
Der Flieger läßt das Triebwerk an,
Ein Dutzend bunter Lämpchen sind zu testen,
Und kaum daß er den Tower ruft,
Hat er den Vogel in der Luft,
Quer übern Platz und auf dem Kurs nach Westen.
Schon taucht er ein im düsteren Grau,
Hier kennt er jeden Busch genau,
Jeden Schornstein, alle Hochspannungsmasten.
Noch keine fünf Minuten sind
Verflogen, als er schon beginnt,
Sein Ziel in Bodennähe zu ertasten.

Ein zweites Flugzeug, Phönix III
In dreihundert Fuß ist dabei,
Den See in größ'rer Höhe zu umkreisen,
Um aus der bess'ren Übersicht
Der Golf-November, die ganz dicht
Über dem Wasser schwebt, den Weg zu weisen.
War da ein Schatten unterm' Eis?
Die Golf-November ist im Weiß
Von aufwirbelndem Pulverschnee verschwunden.
Da war's, in Position neun Uhr,
Da drüben links, drei Meter nur,
Da ist es, ja, sie haben es gefunden!

Der Flieger setzt im Schwebeflug
Seine Maschine fest genug
Auf's Eis, um mit den Kufen einzubrechen,
Und hält sie dann in Maßarbeit,
Wie festgeschraubt, zwei Fingerbreit,
Über den trügerischen weißen Flächen.
Der Doktor wagt's und seilt sich ab,
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Steigt auf die Kufe, viel zu knapp
Die Zeit, um Rettungsgerät zu besorgen,
Kniet hin aus waghalsigem Stand,
Packt zu und hat mit sichrer Hand
Die kleine, leblose Gestalt geborgen.

Leistung und Steuerknüppel vor:
Die Golf-November schießt empor,
Und wieder ist's ein Wettlauf um Sekunden.
Und bald ist die kostbare Fracht
Behutsam versorgt und bewacht,
Hinter gläsernen Kliniktür'n verschwunden.
Das war's die Anspannung schlägt um
In Müdigkeit, die Zwei steh'n rum,
Keiner hat ein Wort herauszubringen,
Während da drin mit aller Kraft,
All ihrer Kunst und Meisterschaft,
Ein dutzend Menschen um ein Leben ringen.

Dreitausend Stunden auf dem Bock,
Und immer noch der gleiche Schock,
Den hilft keine Gewohnheit überwinden.
Eintausend Einsätze und mehr,
Und immer noch genauso schwer,
Sich mit unserer Ohnmacht abzufinden.
Die Front ist da, es dunkelt schon,
Und in der engen Wachstation
Sind bleiche Neonleuchten angegangen.
Der Flieger fällt den Dienstplan aus,
Der Doktor schaut zum Fenster raus,
Und ein Gedanke hält die zwei gefangen.

Doch keiner, der das Schweigen bricht.
Die winz'ge Chance nur, mehr nicht!
Beide würden sie viel dafür geben...
Und da zerreißt das Telefon
Die Stille in der Wachstation
Und eine Stimme sagt, das Kind wird leben.
Der Doktor hängt der Hörer ein.
'Der Kaffee dürfte bitter sein,
Egal, ich nehm'ne Tasse, Du auch eine?'
Der Flieger nickt von seinem Platz
Und schreibt Anlaß : Rettungseinsatz
Besondere Vorkommnisse : - keine.